Schon jedes siebte deutsche Paar führt Schätzungen zufolge eine Fernbeziehung. Woher rührt diese stetige Zunahme? Und wie können Paare ihre Liebe auf Distanz über Jahre aufrechterhalten? Beziehungsexperten geben mittlerweile sogar Seminare für Fernbeziehungen und bezeichnen solche Beziehungsformen als "Trainingslager für die Liebe".
Kostbare Stunden zu zweit: Ein Großteil der Freizeit fällt der Fahrerei zum Opfer.
Berlin, Göttingen, Leipzig, Hamburg, Bebra, Fulda – in sechs Orten haben Alexander Jarka und seine Freundin Stefanie in den vergangenen 13 Jahren gewohnt. Nur selten lebten sie zusammen in einer Stadt, meist lagen Hunderte von Kilometern und etliche Bahnstunden zwischen ihnen. Momentan besucht der 32-Jährige eine Akademie für Werbetexter in Hamburg, seine Lebensgefährtin arbeitet in Berlin als Fotografin.
Jedes Treffen ist ein logistischer Aufwand
Während viele Paare nach einigen Jahren Zusammensein über Wohneigentum oder Kücheneinrichtungen debattieren, sitzen die beiden im wahrsten Sinne des Wortes noch immer auf gepackten Koffern. "Doch Wochenendbeziehungen sind anstrengend. Schließlich geht ein großer Teil der Freizeit für die Organisation und die Fahrerei drauf", bilanziert Alexander Jarka: "Dienstags fängt man an, sich um eine Mitfahrgelegenheit für den Freitag zu bemühen – und samstags muss ich schon die Heimfahrt für den Sonntag organisieren."
Auch Maria Richter-Nordahl führt seit knapp drei Jahren eine Fernbeziehung. Jedes Treffen mit dem Übersetzer Andreas ist mit hohem, logistischem Aufwand verbunden. Die Diplom-Psychologin, die als Coach und Karriereberaterin arbeitet, wohnt in Berlin – ihr Freund in Oslo. Da die Preise für einen Hin- und Rückflug zwischen siebzig und mehreren hundert Euro schwanken, und da Frühbucher zu günstigeren Konditionen reisen, wird jedes Treffen bereits Monate im Voraus festgelegt.
Ein Viertel aller Akademiker liebt auf Distanz
So kommt es, dass sich die beiden Alleinerziehenden nur etwa alle zwei bis drei Monate sehen. "Es tut schon manchmal weh, dass wir so wenig Zeit miteinander verbringen können. Schade ist außerdem, dass bei solch einer Distanz spontane gemeinsame Unternehmungen unmöglich sind", sagt Maria Richter-Nordahl.
Die Zahl der Deutschen, deren Partner in einer anderen Stadt wohnt, nimmt seit Jahren zu. "Seriösen Schätzungen zufolge ist derzeit jede siebte Beziehung in Deutschland eine Fernbeziehung. Außerdem geht man davon aus, dass ein Viertel aller Akademiker im Laufe des Berufslebens mehrfach jahrelang eine Partnerschaft auf Distanz führen muss", sagt Peter Wendl, Buchautor und Projektleiter am Zentralinstitut für Ehe und Familie an der Uni Eichstätt-Ingolstadt.
Kommunikation auf vielen Wegen
Einer der Hauptgründe für diese Entwicklung: Unternehmen verlangen von ihren Mitarbeitern, dass sie verschiedene Niederlassungen und Unternehmenszweige gründlich kennen lernen. Verbreitet sind Fernbeziehungen allerdings auch bei Studenten, die häufig Auslandssemester und Praktika in verschiedenen Städten absolvieren. Im Lebenslauf machen sich viele Ortswechsel später ganz prächtig, da sie von Flexibilität und Engagement zeugen.
"Die Bereitschaft, sich auf eine Fernbeziehung einzulassen, ist im Allgemeinen gestiegen", erklärt Peter Wendl. "Das liegt auch daran, dass zwischen vielen Städten preisgünstige Flugverbindungen oder schnelle Bahnverbindungen existieren. Auch moderne Kommunikationsmittel helfen dabei, Fernbeziehungen erträglicher zu machen." E-Mails, SMS und kostenlose Internet-Telefonate via Skype sorgen dafür, dass Kommunikation zu jeder Tageszeit möglich und erschwinglich ist. "Es ist wichtig, dass man am Alltag des anderen teilhaben kann, deshalb haben wir uns bemüht, mindestens einmal am Tag miteinander zu telefonieren", berichtet Katja von Eysmondt, die anderthalb Jahre lang mit ihrem Ehemann eine transatlantische Fernbeziehung führen musste.
Auch getrennt einen erfüllenden Alltag erleben
Fast alle Paare erleben eine Liebe auf Distanz zunächst als harte Belastungsprobe. Sehen sich die Partner nach mehrtägiger oder monatelanger Pause wieder, stellt sich die gewohnte Nähe nicht schlagartig wieder ein. "In solchen Situationen ist die gegenseitige Erwartungshaltung riesengroß", sagt Katja von Eysmondt, die ihre Erfahrungen über Fernbeziehungen in einem Buch verarbeitet. "Man muss erst mühsam lernen, dass es völlig normal ist, wenn man sich in der kostbaren gemeinsamen Zeit auch einmal streitet."
Das Gelingen einer Fernbeziehung ist aus Expertensicht von vielen Faktoren abhängig. "Wichtig ist, dass beide in der Lage sind, auch getrennt einen erfüllenden Alltag zu leben", sagt Peter Wendl, der auch für die Katholische Militärseelsorge tätig ist und Seminare für Bundeswehrsoldaten abhält, die vor mehrmonatigen Auslandseinsätzen stehen. "Außerdem brauchen Paare mittelfristige Perspektiven wie gemeinsame Urlaube", erklärt er. "Es reicht nicht, wenn die Betroffenen nur das nächste gemeinsame Wochenende herbeisehnen und ansonsten davon ausgehen, dass sie nach der Pensionierung miteinander leben."
Bei häufigen Umzügen steigt die Scheidungsrate
Die einzige Alternative zu einer Partnerschaft auf Distanz ist in den meisten Fällen der gemeinsame Umzug in eine andere Stadt. "Doch die gewohnte Umgebung trägt bei den meisten Menschen erheblich zum Wohlbefinden bei", warnt Wendl: "Untersuchungen zeigen, dass die Scheidungsrate nach dem dritten gemeinsamen Umzug ansteigt – das ist ein klares Argument für die Fernbeziehung."
Sind die Anfangsschwierigkeiten überwunden, wird eine Liebe auf Distanz nämlich oft als echte Bereicherung empfunden. "Wir freuen uns jedes Mal wahnsinnig aufeinander und erleben die Zeit miteinander sehr intensiv. Außerdem habe ich erlebt, dass es auch über eine Distanz von Hunderten von Kilometern möglich ist, Vertrauen und Nähe aufzubauen", sagt Maria Richter-Nordahl. "Jeder gibt sich mehr Mühe, etwas Schönes für das Wochenende zu planen und geht mit der Beziehung achtsamer um", glaubt auch Alexander Jarka. Ähnlich sieht es Peter Wendl: In seinen Seminaren bezeichnet er Fernbeziehungen als "Trainingslager für die Liebe".